Evolution for IDiots Teil 1: Die Evolution des Kreationismus

Vorwort

Kreationismus ist der pseudowissenschaftliche Irrglaube, dass Evolution eine Lüge sei. Allen Kreationisten gemeinsam ist die spezielle Schöpfung der Arten durch Gott, was einer Ablehnung der natürlichen Selektion zur Erklärung der Artenvielfalt gleichkommt. Für Fundamentalisten ist die Bibel keine Sammlung von Mythen, Metaphern und Prophezeiungen, sondern Offenbarung Gottes. Sie ist daher wahr und enthält die wahren Fakten. Sie wird zum wissenschaftlichen Text. Widersprechende Aussagen der Naturwissenschaften müssen daher falsch sein. Die Artikelreihe „Evolution for IDiots“ soll sich mit einigen Vorwürfen des Kreationismus gegen die Evolution befassen. Bei dem Titel handelt es sich um ein Wortspiel: IDiots (großes „I“ und großes „D“) hat die Abkürzung für „Intelligent Design“ (kurz ID), einer Abart des Kreationismus, im Namen drin. Die Verbindung zwischen Intelligent Design und Idiot passt einfach zu gut.

Die Ursprünge der biblischen Schöpfungsgeschichte

So ziemlich jede Kultur hat ihre Schöpfungsgeschichte und ihre Mythen, die das Verhältnis der Menschen zur Erde und zu ihren Göttern reflektieren, das Christentum, bzw. die christliche Schöpfungslehre, hat also keinerlei Sonderstellung in dieser Reihe.

Die Ursprünge der hebräischen Schöpfungsgeschichte der Bibel werden seit nunmehr 200 Jahren von namhaften Bibelforschern untersucht. In den 1860ern und 1870ern gruben Archäologen mehrere historische Städte der Sumerer in Mesopotamien (dem heutigen Irak) aus. Dort fanden sie auch mehrere Tontafeln mit in Keilschrift versehenen Texten. Es handelt sich um die ältesten bekannten Schriftstücke, von denen einige etwa 4.000 v. Chr. entstanden und viele dieser Schriftstücke der Sumerer wurden u. a. von den babylonischen und assyrischen Kulturen wiederverwendet, die in Mesopotamien den Sumerern folgten. Die längste und bekannteste dieser Schriftstücke ist die Enūma eliš (eingedeutscht: Enuma elisch) der Babylonier. So wird der babylonische Schöpfungs-Mythos genannt, dessen ca. 1000 Zeilen in Keilschrift auf sieben Tontafeln niedergeschrieben wurden (vgl. Abb. 1). Übersetzt bedeutet Enūma eliš „Als oben [der Himmel noch nicht genannt war]“, benannt nach der ersten Zeile.

Abb. 1: Die sieben Tafeln der Enūma eliš, der babylonischen Schöpfungsgeschichte

Die Enūma eliš weist eine ganze Reihe an Parallelen zur Schöpfungsgeschichte der Genesis 1 auf, z. B. dass die Götter Land und Wasser voneinander trennten und die Geschöpfe benannten. Auch Psalm 74 übernimmt vieles aus der Enūma eliš, bei der Gott Leviatan (ein Seeungeheuer der christlich-jüdischen Mythologie) zerstört, indem er den Kopf aufspaltete. Fast wortgleich erinnert dieser Psalm daran wie Marduk, der Hauptgott der Babylonier, den Kopf von Tiamat, der Göttin des Ozeans, ebenfalls in Gestalt eines Seeungeheuers, spaltet. Weil die Kultur der Babylonier und somit die Enūma eliš wesentlich älter sind als die Kultur der Hebräer, ist davon auszugehen, dass diese von den Babyloniern stark beeinflusst wurden (Heidel 1942).

Eine weitere Quelle der biblischen Darstellung ist das Epos von Gilgamesch, das auf etwa 2.750 v. Chr. datiert. Dieses Epos weist viele Parallelen zu Sintflut und Noahs Arche in der Bibel auf. Lediglich die Namen und einige Details sind verschieden – und natürlich, dass in der biblischen Darstellung nur ein Gott vorkommt (Heidel 1946).

Bibelforscher konnten entdecken, dass das Alte Testament von verschiedenen Autoren verfasst wurde, liest man es im hebräischen Original. Für hebräische Forscher zeigt sich das u. a. durch bestimmte Sätze und Vokabeln, insbesondere welches Wort für den Namen Gottes verwendet wurde. So gibt es die „J-Quelle“ (auch „Jahwisten“ genannt), in der Gott als Jahwe (oder ohne Vokale, die alte hebräische Schriften nicht nutzte: JHWH) bezeichnet wird, von manchen aber auch als Jehova falsch ausgesprochen oder geschrieben wird. Die Autoren der „J-Quelle“ waren Priester aus dem südlichen Königreich von Juda, die diese Schriften zwischen 848 und 722 v. Chr. verfassten. Diese Autoren waren höchstwahrscheinlich religiöse Führer, die mit Solomons Tempel in Verbindung gebracht werden können. Weitere Quellen der Bibel sind die Elohimquelle (E) aus der Zeit um 800 v. Chr., der Priesterkodex (P) aus der Zeit um 550 v. Chr. und das Deuteronomium (D), aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. Diese Quellen nutzen nur für sie bestimmte Begriffe und Redewendungen, sodass sie geübte Bibelforscher klar unterscheiden können (vgl. Friedman 1987, Pelikan 2005).

Als Ergebnis ist die Bibel voller widersprüchlicher Aussagen, sodass es unmöglich ist diese wörtlich zu nehmen. Z. B. werden nach der Genesis 1 (hauptsächlich aus dem Priesterkodex entnommen) zuerst Pflanzen, dann die Tiere, dann Adam und dann Eva erschaffen. In Genesis 2 hingegen (Jahwisten-Quelle) zuerst der Mann, dann die Pflanzen, dann die Tiere und zuletzt die Frau erschaffen. Nach Genesis 1:3-5 erschuf Gott am ersten Tag das Licht und trennte so Tag und Nacht. Aber nach Genesis 1:14-19 wurde die Sonne (die ja Tag und Nacht trennt) nicht vor dem vierten Tag erschaffen. Genesis 6-7 erzählt die Geschichte von Noahs Arche zwei Mal, einmal von der Jahwisten-Quelle und einmal aus dem Priesterkodex. In einigen Versen werden die beiden Quellen aber zusammengewürfelt, sodass sich noch größere Widersprüche ergeben. Genesis 7:2 (Jahwisten-Quelle) sagt aus, dass Noah sieben Paare von jeder Art in die Arche nahm, aber Genesis 7:8-15 (Priesterkodex) geht von dem bekannten ein Paar von jeder Art aus. Es könnten noch mehrere Beispiele dieser Art genannt werden. Doch hier geht es nicht darum aufzuzeigen, dass Widersprüche in den biblischen Darstellungen vorkommen (das weiß jeder Bibelforscher), sondern darum, dass die Bibel als wörtliche Auslegung nicht zu gebrauchen ist. Das jedoch ist ein entsprechendes Problem des Kreationismus, der von einer wörtlichen Auslegung der Schöpfungsgeschichte ausgeht, die Bibel also beim Wort nimmt.

Die historisch durchaus interessanten Ursprünge des Bibelgeschichten lassen nur den Schluss zu, dass die Bibel weder ein Geschichtsbuch und schon gar nicht ein naturwissenschaftliches Buch ist. Es handelt sich hierbei nur um – historisch und kulturell durchaus wichtige – Mythen. Sich überhaupt die Frage zu stellen, ob die biblische Schöpfungsgeschichte und weitere Bibelstellen historisch und wissenschaftlich korrekt sind, werden der Bedeutung der Bibel nicht gerecht. Die Mythen über die Schöpfung oder die Sintflut haben eine andere Bedeutung als ihre historische Richtigkeit. Bei Mythen geht es nicht um die Wahrheit des Geschehenen. Es geht in erster Linie um das Ringen der Menschen in den für sie wichtigen Stationen des Lebens: Geburt, Tod, Heirat, Lebenswege. Mythen sind für die psychologische und spirituelle Natur des Menschen von Bedeutung und haben somit nichts mit Wissenschaften gemein. Mythen in Wissenschaft zu verwandeln ist eine schwere Beleidigung nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Mythen und die Religion. Kreationisten versuchen aber genau das und verleugnen damit den eigentlichen Charakter der Religion.

Die Ursprünge des Kreationismus in den USA

Die USA ist Heimat für eine besonders groteske Form des religiösen Fundamentalismus, der für Europa Großteils (noch) fremd ist. Dieser religiöse Fundamentalismus sorgt dafür, dass die meisten US-Amerikaner Evolution nicht verstehen oder ablehnen.

Für die meiste Zeit der letzten 2000 Jahre wurde die biblische Darstellung nicht infrage gestellt, doch schon um 426 n. Chr. hatte Augustinus von Hippo geschrieben, dass die Genesis nicht wörtlich zu nehmen ist. Nachdem die Wissenschaft mehr und mehr Fakten gesammelt hatte, wurde immer offensichtlicher, dass die Bibel nicht wörtlich genommen werden konnte. Um 1700 herum wurden so viele Beweise akkumuliert, dass die meisten Intellektuellen nicht an eine wörtliche Auslegung der Bibel glaubten. Besonders in Frankreich hatten sich Denker wie Diderot, Rousseau und Voltaire gegen das Dogma der katholischen Kirche ausgesprochen und 1749 behauptete Leclerc, dass die Erde 75.000 Jahre alt sei und Menschen und Affen nah verwandt seien. Im 19. Jh. wurde die wörtliche Auslegung der Genesis von den meisten gebildeten Leuten abgelehnt, auch schon lange bevor Darwin 1859 „On the Origin of Species“ veröffentlichte. Mit dem aufsteigenden Bürgertum (die Bourgeoisie) und der industriellen Revolution hatte der Kreationismus, hatte die wörtliche Auslegung der Bibel, keine Chance. Doch Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. verlor das Bürgertum zunehmend seine progressive Rolle. 1878 fand die Erste Niagara Bibel-Konferenz statt. Man kämpfte für die historische Glaubwürdigkeit der Bibel und publizierte von 1910 an eine Buchreihe mit dem Titel “The Fundamentals”. Daraus ist der Begriff des Fundamentalismus zu entnehmen. Grundaussage dieser Buchreihe ist, dass die Bibel das unfehlbare, irrtumslose und wahrhaftige Wort Gottes sei. Naturkundliche und geschichtliche Aussagen der Bibel seien zuverlässig, Bibelkritik sei grundsätzlich abzulehnen und Jesus Christus sei der einzige Erlöser. Interessanterweise waren die ursprünglichen Autoren von „The Fundamentals“, A. C. Dixon und R. A. Torrey, der Evolution nicht völlig ablehnend gegenüber eingestellt. Man könne an die Evolution wie auch an die Unfehlbarkeit der Bibel glauben. Auch im fundamentalistischen Süden der USA wurde Evolution ohne großen Widerspruch in den Bildungseinrichtungen unterrichtet (Numbers 1992). Doch diese „Toleranz“ der Fundamentalisten änderte sich bald. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigten die Fundamentalisten ihren wahren anti-wissenschaftlichen Kern.

Eine fundamentalistische Bewegung wurde angeführt von William Jennings Bryan, der seiner Zeit einer der berühmtesten politischen Figuren der USA war und drei Mal als Präsidentschaftskandidat (erfolglos) antrat. In den 1920ern war er in seinen Sechzigern und begann eine Kampagne zu starten, die Gesetze erlassen sollten den Evolutions-Unterricht an Schulen zu verbieten. Ende der 1920ern hatten mehr als 20 Bundesstaaten solche Gesetze diskutiert und 5 Bundesstaaten (Tennessee, Mississippi, Arkansas, Oklahoma und Florida) hatten die Evolutionsbiologie aus dem Unterricht ganz oder teilweise verbannt. Ironischerweise war Bryan keiner, der die Bibel wörtlich nahm, sondern war ein sogenannter „Day-Age-Kreationist“. Nach der “day-age theory” sind die Tage der Genesis nicht wörtlich zu nehmen, sie können durchaus für Millionen von Jahren stehen. Der Höhepunkt der kreationistischen Bewegung in den 1920ern war der berüchtigte Scopes-Prozess von 1925, auch als Scopes Monkey Trial (Scopes-Affenprozess) und kurz „Affenprozess“ bekannt (Abb. 2). In diesem Gerichtsverfahren wurde der Lehrer John Thomas Scopes zu 100 Dollar Bußgeld verurteilt, weil er Darwins Evolutionstheorie an öffentlichen Schulen gelehrt hatte. Später wurde Scopes jedoch vom Obersten Gericht von Tennessee wegen eines Formfehlers freigesprochen. Der Prozess wurde zum Testfall für ein neues Gesetz, das im selben Jahr vom Staatsparlament von Tennessee verabschiedet worden war. Danach war es in dem US-Bundesstaat verboten, im Schulunterricht Theorien zu behandeln, die dem Schöpfungsbericht der Bibel über die Entstehung des Menschen widersprechen. Das am 13. März 1925 in Tennessee erlassene Gesetz (Butler Act) war dabei das einzige, welches eine strafrechtliche Bestimmung enthielt. Die Verteidiger von Scopes vertraten bei diesem aufsehenerregenden Prozess, bei dem mehr als 120 Journalisten und 100 Priester evangelikaler Sekten und Kirchen beiwohnten, die Position, dass das Gesetz der in der Verfassung festgelegten Trennung von Kirche und Staat und der Religionsfreiheit widerspreche. Außerdem behauptete sie, dass die Evolutionstheorie nicht im Widerspruch zur Bibel stehe. Für Letzteres wollten sie eine Vielzahl von Wissenschaftlern als Sachverständige aufbieten, die sich zu diesem Zweck auch in oder um Dayton aufhielten. Der zuständige Richter John T. Raulston wollte jedoch keine Sachverständigen zulassen. Clarence Darrow, Verteidiger von Scopes, berief daraufhin den Assistenten der Staatsanwaltschaft, dem vorhin erwähnten Bryan, in den Zeugenstand. Er sollte zur Frage der Aussagen der Bibel und zum Alter der Erde vernommen werden. Obwohl er vom Richter darauf hingewiesen wurde, dass er nicht aussagen müsse und auch die übrigen Anklagevertreter gegen die Aussage seien, ließ sich Bryan auf das Kreuzverhör ein. Dieses Kreuzverhör, in dem sich Bryan in Widersprüche verstrickte, wurde zum Höhepunkt des Prozesses. Das Gesetz von Tennessee bestand aber noch für Jahrzehnte weiter, bis es 1968 für verfassungswidrig erklärt wurde (Prothero 2017).

Abb. 2: Szene aus dem Scopes-Prozess: William Jennings Bryan (links, sitzend) wird von Clarence Darrow, dem Verteidiger Scopes, befragt.

Auch wenn die Gesetze noch so lange Bestand hatten, waren sie während der Großen Depression ab 1929 nicht mehr im Fokus der Kreationisten. Sie kümmerten sich viel eher darum, dass in den Schulbüchern die Kapitel zur Evolution verschwanden. Während des Kalten Krieges und des „Sputnik-Schicks“ 1957 verstanden aber die Herrschenden in den USA, wie wissenschaftlich zurückgeblieben ihr Land im Vergleich zur „Feindesmacht“ Sowjetunion war, sodass ab 1958 wesentlich mehr finanzielle Mittel in die wissenschaftliche Ausbildung flossen. Mit diesem neuen Fokus auf die Bedeutung der Wissenschaft erschienen auch in den 1960ern immer mehr Evolutionslehrbücher. Die Kreationisten warteten aber nicht lange auf ihren Gegenschlag. 1961 wurde das Buch „The Genesis Flood“ von John C. Whitcomb und Henry M. Morris veröffentlicht, welche sowohl die Evolutionsbiologie als auch die Geologie ablehnten. 1963 gründeten sie die Creation Research Society, als Nachfolgeorganisation das Institute for Creation Research (ICR). Diese „ThinkTanks“ der Kreationisten hatten zur Aufgabe die Evolution zu diskreditieren. Sie standen jedoch vor einem Problem: Seit 1968 waren alle „Affengesetzte“ außer Kraft getreten und es war nicht mehr möglich, den Evolutions-Unterricht an Schulen zu verbieten. Also änderten sie ihre Strategie. Statt die Evolution aus dem Schulunterricht zu eliminieren, sollen beide Sichtweisen unterrichtet werden (vgl. Prothero 2017)

Ihr Ausweg war, die wortgetreue biblische Schöpfungsgeschichte als Wissenschaft auszugeben. Sodann forderten sie gleichen Zeitaufwand im Unterricht für Evolutionslehre und “creation science”. Eine gute Erziehung erfordere selbstverständlich, dass man den Kindern keinen Wissenschaftszweig vorenthält. Wer sich gegen “creation science” im Unterricht stelle, war ein Scharlatan. Diese Argumentationsweise leuchtete jedem Amerikaner ein.

So sollten z. B. alle Bezüge zu den sechs Tagen der Genesis und der Arche Noahs entfallen, um der „creation science“ mehr Glaubwürdigkeit zu erleihen.

Die Fluttheorie wurde nun als “scientific creationism” oder “creation science” ausgegeben. Großzügig versandte das Institute for Creation Research (ICR) an Eltern, Lehrer und Studenten die Broschüre “Introducing Creationism in the Public School”. Eine weitere einflussreiche, kreationistische Schrift brachte 1973 Duane T. Gish heraus: “Evolution: The Fossils Say No!” (Gish 1973). Es bildete sich eine gemeinsame Front der Fundamentalisten und Verfechter von Tugend und Religion, die sich als Vertreter der moralischen Mehrheit verstanden. Während zuvor die Evolutionslehre angegriffen wurde, drängten sie nun nur noch auf Gleichbehandlung. Der Schwerpunkt ihrer Argumentation lag nicht mehr auf der Bibel, sondern auf “creation science”. Nur so sahen sie eine Chance als Wissenschaft und nicht als religiöse Bewegung wieder in die Schulpläne zu gelangen. In 1974 erschien das Textbuch der ICR “Scientific Creationism” in zwei Ausgaben: für die öffentlichen Schulen ohne Bezug zur Bibel, für die christlichen Schulen mit einem Kapitel “Creation According to Scripture”.

Da die Evolutionslehre nicht falsifiziert werden könne, sei sie – so die Kreationisten – keine Wissenschaft. Die Devise der Kreationisten an den Schulen lautet: “Lehrt mehr Wissenschaft!” Die Zurückhaltung wissenschaftlicher Information gegenüber der Evolutionslehre bezeichneten sie als Zensur. Dieses Vorgehen erwies sich vielerorts als erfolgreich.

Sie hatten mehrere Versuche unternommen vor Gericht durchzusetzen, dass als Alternative zur Evolution auch der Kreationismus (genauer gesagt: der „wissenschaftliche Kreationismus“) gelehrt werden soll. Doch jegliche Versuche vor Gericht scheiterten, weil erkannt wurde, dass der Kreationismus keine wissenschaftliche Alternative darstelle und religiöse Propaganda sei. Seit den 1990ern hielten sich die Kreationisten von solchen Gerichtsprozessen fern und konzentrierten ihre Energie dahin auf Schulbehörden und Herausgebern von Schulbüchern Druck zu machen. Fast wöchentlich konnte man von dem ein oder anderen Schuldistrikt hören, der von Kreationisten unter Druck gesetzt wurde. In den meisten Fällen wurde gegen die Kreationisten entschieden, doch Kreationisten blieben zwar eine kleine aber gut finanzierte und lautstarke Minderheit, die nichts anderes zu tun hatte, als ihr Geld und ihre Zeit ihre Propaganda zu verbreiten (vgl. Prothero 2017).

Intelligent Design – Alter Wein in neuen Schläuchen

In den 1990ern etablierte sich eine neue Generation von Kreationisten, die eine neue Strategie verfolgten: Intelligent Design (ID). Zu ihren wichtigsten Vertretern gehören z. B. der Biochemiker Michael Behe und der Mathematiker William Dembski. Michael Behe ist Autor des Buches „Darwin Blackbox“ (Behe 1996), das die Ideen des Intelligent Design darstellen soll. Intelligent Design unterscheidet sich von den anderen „klassischeren“ Formen des Kreationismus dadurch, dass sie – zumindest in der Öffentlichkeit – die religiösen Bekundungen des Schöpfungsglaubens auslassen. Weiterhin erkennen sie das hohe Alter der Erde an. Stattdessen haben sei einen anderen Schwerpunkt, nämlich den „Design“ in der Natur. Die Komplexität des Lebens könne nicht durch blinden Zufall entstanden sein. Außerdem sind die komplexen Strukturen irreduzierbar komplex, d. h., wenn man einzelne Teile aus einem System entfernt, so ist dieses System nicht mehr funktionsfähig. Es werden hierfür beliebte Beispiele eingeführt, wie die Komplexität des Auges, des Flagellums von Bakterien oder das Immunsystem. Diese komplexen Dinge können nicht einfach so entstanden sein, viel mehr war ein intelligenter Designer am Werk. Diese Argumentation geht auf William Paley zurück, einem berühmten Naturtheologen, der 1802 „Natural Theology“ schrieb. Paleys berühmteste Metapher ist die des Uhrmachers. Wenn man an einem Strand entlangläuft und eine Uhr findet, dann weiß man, dass diese Uhr nicht durch Zufall entstanden sein kann, sondern, dass diese designt wurde, die also jemand gemacht habe. Dasselbe gilt auch für das Leben. Zu seiner Zeit war die Naturtheologie einflussreich, aber selbst vor Paleys Zeit wurden die wichtigsten Argumente widerlegt. 1779 wurden vom schottischen Philosophen David Hume posthum „Dialoge über natürliche Religion“ veröffentlicht, bei den drei fiktiven Figuren (Demea, Philo und Cleanthes) über die Natur der Existenz Gottes debattieren. Philo, der Skeptiker, bemerkt, dass das Design in der Natur eine schlechte Analogie sei, weil wir keinen Standard haben unsere Welt zu vergleichen, selbst wenn es möglich wäre, sich eine Welt vorzustellen, die besser als die unsere sei. Selbst wenn unsere Welt designt aussieht, heißt das noch lange nicht, dass der Designer der jüdisch-christliche Gott wäre. Weiterhin trifft es auch keinesfalls zu, dass die Natur perfekt designt wäre. Für jedes Beispiel der Schönheit der Natur gibt es etliche Beispiele für ihre Unvollkommenheit und ihr schlechtes Design. Wenn jedoch Kreationisten meinen es sei zu komplex „neue“ Organe oder Informationen wie z. B. ein Auge zu bilden, muss man auch hier die Frage gestatten, was den mit komplex gemeint ist? Sind Gegenstände komplex oder beschreiben wir sie als ob sie komplex wären? In der Tat ist komplex eine Zuschreibung, die wir unter gewissen Bedingungen erteilen. Wenn x einfacher als y, dann ist y komplexer als x. Es kommt nun aber noch unbedingt eine dritte Argumentstelle hinzu, nämlich die Hinsicht, in der etwas als einfacher oder komplexer als etwas anderes angesprochen wird. Diese Anmerkungen erläutern sich, wenn wir bedenken, dass ein und dieselbe Sache zugleich komplex und einfach sein kann- nämlich eben in Bezug auf unterschiedliche Beschreibungszwecke. So kann etwa das Herz eines Haies nach Zahl der Komponenten, Funktionskontrolle etc. einfacher sein als das eines Säugers, zugleich aber komplexer als das eines Insektes, ohne dass deshalb ein Widerspruch entstünde. Der Fehler besteht bei Kreationisten also darin zu behaupten, es gäbe in der Natur komplexe Gegenstände unabhängig von ihrer Beschreibung.

Hinzu kommt, dass wenn Vertreter des Intelligent Designs (oder anderer kreationistischer Richtungen) etwas als zu komplex ansehen, als dass es durch Evolution entstanden sein muss, dann muss dafür ein „intelligenter Schöpfer“ am Werk gewesen sein. Das ist das typische „god-of-the-gaps“-Argument (Gott der Lücken). Wenn ein Phänomen (noch) nicht wissenschaftlich erklärt wurde (bzw. man meint, es gäbe dafür keine wissenschaftliche Erklärung), dann muss dahinter eine übernatürliche Kraft stecken. Noch im Mittelalter glaubte man, dass Gott die Planeten und Sterne in Bewegung setzte, bis durch Kopernikus, Galileo, Newton und Kepler nachgewiesen wurde, dass sie physikalischen Naturgesetzen folgen. Wenn Kreationisten also keine natürliche Erklärung finden wollen, gehen sie automatisch davon aus, dass auch kein Wissenschaftler eine solche Erklärung findet. Also muss immer ein Gott herhalten.

Intelligent Design ist definitiv keine Alternative zur Evolutionstheorie, sondern nichts weiter als Kreationismus. Selbst führende Advokaten des Intelligent Design mussten zugeben, dass ihr Konzept keine wissenschaftliche Grundlage hat. Paul Nelson sagte bei einem Treffen im Biola College in Los Angeles 2004, dass die größte Herausforderung der ID-Community sei eine biologische Theorie des Designs zu entwickeln. Dass solch eine Theorie nicht existiere sei bestehendes Problem des Intelligent Design. Im Intelligent-Design-Prozess in Dover, Pennsylvania, musste der wichtige Vertreter des Intelligent Design, Michael Behe, eingestehen, dass keine Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften bestehen, die die Argumente des Intelligent Design unterstützen. Es fehlen auch wissenschaftliche Studien, die aussagen, dass gewisse lebende Systeme (z. B. das Flagellum der Bakterien) irreduzierbar komplex seien (Zitate aus Prothero 2017: S. 43).

Jegliches Gerede über intelligentes Design ist jedoch nichts weiter als ein Deckmantel für religiösen Fundamentalismus. Nach außen hin mögen Vertreter des Intelligent Design sagen, dass dieser Designer nicht unbedingt ein Gott sein muss, sondern z. B. auch ein Außerirdischer sein könnte. Tatsächlich sind aber alle Vertreter des Intelligent Design evangelikale Christen, die den „intelligenten Designer“ als Vorwand dafür benutzen religiöse Dogmen und religiösen Fundamentalismus ins Klassenzimmer einzuführen du die Evolutionsbiologie aus dem Lehrplan zu entfernen. Im christlichen Magazin „Touchstone“ schrieb William Dembski: „Intelligent Design ist nur die Logos-Theologie des Johannesevangeliums, die im Idiom der Informationstheorie wiederholt wird.“ 1999 schrieb er: „Jede Sicht der Wissenschaften, die Christus aus dem Bilde lässt, muss als grundlegend mangelhaft angesehen werden. (…) Die konzeptionelle Sinnhaftigkeit einer wissenschaftlichen Theorie kann nicht getrennt von Christus aufrechterhalten werden.“ Im Jahr 2000: „Intelligentes Design eröffnet die ganze Möglichkeit, dass wir nach dem Bild eines gütigen Gottes geschaffen worden sind. (…) Die Aufgabe der Apologetik ist es, die Bahn frei zu machen und die Hindernisse zu beseitigen, die die Menschen daran hindern, zur Erkenntnis Christi zu gelangen. (…) Und wenn es etwas gibt, dass, wie ich denke, das Wachsen Christi als die freie Herrschaft des Heiligen Geistes und die Akzeptanz der Menschen der heiligen Schrift und Jesus Christus hindert, dann ist es die darwinistische naturalistische Sichtweise.“ (diese und weitere Beispiele siehe Prothero 2017: S. 43-44, vgl. auch  https://beruhmte-zitate.de/autoren/william-a-dembski/).

Intelligent Design ist also nichts weiter als Kreationismus. Die „ID-Bewegung“ wird im Wesentlichen vom Center for the Renewal of Science and Culture (CRC) finanziert. Das CRC gehört zum „Discovery Institute“ und erhält seine Gelder von reaktionären evangelikalen Organisationen und Personen. Eine Spende von 750.000 $ stiftete die Ahmanson Foundation, deren Ziel es ist, das Biblische Gesetz in das Leben der Menschen zu integrieren. Die MacClellan Foundation, die daran interessiert ist die Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift zu propagieren, gab dem CRC 450.000 $. Die Stewardship Foundation stiftet jährlich 200.000 $ an das CRC. Dieser „Think Tank“ ist dafür bekannt das Evangelium durch evangelikale und missionarische Arbeit zu verbreiten. Die meisten der 22 Organisationen, die das CRC finanzieren sind rechte und religiös konservative Organisationen. 2003 erhielt das CRC 4,1 Mio. $. Dieses Geld wird jedoch nicht für die wissenschaftliche Forschung verwendet. Ihre Gelder werden hauptsächlich dafür verwendet, dass ihre Meinung in den Medien verbreitet wird, ihre Bücher zu verbreiten oder Debatten zu führen (Prothero 2017: 44-45). Solche Debatten zu führen ist eines der Lieblingstätigkeiten der Kreationisten. Sie treten dabei – meist in Schulen oder im Fernsehen – gegen Vertreter der Evolutionstheorie auf. Die meisten Wissenschaftler lehnen solche Debatten ab. Nicht, weil sie gegen die Kreationisten keine Argumente hätten, der Grund ist ein anderer. Erstens haben viele Wissenschaftler besseres zu tun, nämlich ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen. Zum anderen wird dabei den Kreationisten zu viel Bedeutung beigemessen. Hier geht es im Wesentlichen um Rhetorik-Fähigkeiten und wer beim Publikum besser ankommt (in vielen Fällen ist es eh kreationistisch). Hier wird die Meinungsfreiheit deutlich missbraucht: Wissenschaft und Kreationismus, Humanismus und religiöser Fundamentalismus, beide sollen als gleichberechtigte Partner mit gleicher Redezeit, ernstzunehmenden Argumente (bei Kreationisten: Pseudo-Argumente, Lügen, Verdrehungen etc.) zu Wort kommen. So, als ob hier zwei gleichberechtigte Partner über ein wissenschaftliches Thema debattieren. Dies passt in das Konzept, dass die „Kontroversen“, also beide Seiten, unterrichtet bzw. diskutiert werden müssen. Dabei liegt bei Kreationismus vs. Evolution genauso wenig eine Kontroverse vor, wie so wie bei Astronomie und Astrologie oder Physik und Magie – bei Kreationisten ist halt Magie = Physik durch Wollen (vgl. Abb. 3).

Abb. 3: Sollen beide Seiten unterrichtet werden?

Dass Wissenschaftler selten die Zeit und Lust haben mit solchen Demagogen zu diskutieren (und wie primitiv solche Diskussionen sind, sieht man z. B. an dieser Debatte mit den Kreationisten Kirk Cameron und Ray Comfort). Andererseits ist Aufklärung über den Kreationismus angebracht, denn etwa 40% der US-Amerikaner glauben an den Kreationismus, aber gleichberechtigte Debatten sind hierbei nicht hilfreich.

2005 erreichte der Intelligent design seinen Höhepunkt in der Öffentlichkeit, nachdem sie es auf das Cover des Time Magazine schafften (siehe Abb. 4) und Unterstützung durch George W. Bush erhielten. Außerdem konnten sie sich in Kansas Gehör verschaffen, weil ihre Ideen vom Kansas State Board of Education und von der Schulbehörde in Dover, Pennsylvania, unterstützt wurden. Intelligent Design sollte gleichberechtigt neben der Evolutionsbiologie gelehrt werden. Des Weiteren wurden die Schüler auf das Buch „Of Pandas and People“ (Davis et al., Hg. 2004) verwiesen. Im Dezember 2005 hatten sie aber ihre große Niederlage im „Kitzmiller et alia vs the Dover Area School District“-Prozess. Dieser erste Prozess vor einem US-amerikanischen Gericht um „Intelligent Design“ endete mit einem aus Sicht der ID-Vertreter vernichtenden Urteil des Richters John E. Jones III (20.12.2005):

Das Unterrichten von Intelligent Design im Biologie-Unterricht öffentlicher Schulklassen verstößt gegen die Errichtungsklausel des 1. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika  (Und Artikel I, Abschnitt 3 der Verfassung des Staates Pennsylvania), weil Intelligent Design keine Wissenschaft ist und sich nicht von seinen kreationistischen und damit religiösen Vorbildern abkoppeln kann“.

Abb. 4: Intelligent Design auf dem Cover des Time Magazine

Während des Prozesses wurde z. B. gezeigt, dass das propagierte Lehrbuch der ID-Vertreter „Of Pandas and People“ in früheren Auflagen typisch kreationistische Sichtweisen verbreitete und in den neueren Auflagen Referenzen wie „Gott“ oder „Schöpfung“ gestrichten und z. B. durch „Designer“ ersetzt wurden. An einer Stelle kam sogar ein typischer Palimpsest vor: So war an einer Stelle der Satzteil „cdesign proponentsists“ zu lesen, was darauf hindeutet, dass „design proponents“ auf eine schlampige und unvollständige Art über das Wort „creationist“ kopiert worden ist.

Seit dem Prozess in Dover verschwand „Intelligent Design“ zunehmend aus der Öffentlichkeit, so als ob es einen stillen Tod starb. Doch Michael Behe veröffentlichte kürzlich ein neues Buch (Behe 2019): „Darwin Devolves: The New Science About DNA That Challenges Evolution“. Negative Rezensionen seitens der Wissenschaft bestehen schon (Lang & Rice 2019). Können wir mit der Widerauferstehung des Intelligenten Schöpfers rechnen? In Zeiten von Serien wie „The Walking Dead“ sicherlich keine Überraschung.

Kreationismus in Deutschland

Zwar sind die Ursprünge des Kreationismus und des Intelligent Design in den USA zu suchen. Dort findet man auch die meisten Anhänger dieser Pseudowissenschaft. Aber das Problem beschränkt sich mittlerweile nicht mehr auf die USA, denn auch in Europa und anderswo erfreut sich der Kreationismus und Intelligent Design einer Beliebtheit, wenn auch deutlich geringer als in den USA.

So hatte sich vor einigen Jahren der katholische Kardinal von Wien Christoph Schönborn gegen die Evolutionstheorie ausgesprochen. So schreibt er:

Die Evolution im Sinn einer gemeinsamen Abstammung (aller Lebewesen) kann wahr sein, aber die Evolution im neodarwinistischen Sinn – ein zielloser, ungeplanter Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion – ist es nicht.

Man beachte die Worte Schönborns: Die gemeinsame Abstammung der Lebewesen _kann_ wahr sein. Das sagt im Grunde genommen aus, dass jegliche andere Theorie (Intelligent Design?) auch wahr sein könne. Unter Neodarwinismus versteht man in der Evolutionsbiologie das von August Weismann und Alfred Russel Wallace um 1890 ausgearbeitete Theoriensystem zur kausalen Erklärung des Artenwandels (Evolution). Ausgehend von Charles Darwins Hauptwerk On the Origin of Species (1859), haben Weismann und Wallace grundlegende Korrekturen und Ergänzungen des klassischen Darwinismus vorgenommen. Einer der Grundannahmen des Neodarwinismus ist die Ablehnung der Vererbung erworbener Eigenschaften, die Darwin selbst noch angenommen hatte. Durchaus gibt es an dem Konzept des Neodarwinismus und der daraus in den 1940er Jahren entwickelten „synthetischen Evolutionstheorie“ berechtigte Kritik seitens der Evolutionsbiologie (Erkenntnisse der Epigenetik und der evolutionären Entwicklungsbiologie), die an dieser Stelle nicht erörtert werden kann, doch zeigt Kardinal Schönborn, dass er die Evolution nicht verstanden hat. Zwar ist die Erzeugung der Variationen dem Zufall geschuldet (in dem Sinne, dass dahinter kein ” bewusster Plan” vorliegt), die natürliche Selektion unterliegt jedoch keinem Zufall. Einen höheren „Plan“ in der Evolution gibt es jedoch nicht, da nicht von vornherein festgelegt wird, welche erzeugten Varianten „gut“ oder „schlecht“ sind.

In Deutschland sind Gruppen wie Kreuz.net (mittlerweile ist die Seite offline) oder die Studiengemeinschaft Wort und Wissen als Evolutionsgegner aktiv.

Aber damit nicht genug: Karin Wolff (CDU), unter Roland Koch Bildungsministerin von Hessen, dachte im Jahr 2007 doch tatsächlich darüber nach, die Schöpfungslehre im Biologieunterricht einzuführen. Ihre Vorschläge wurden jedoch zurückgewiesen, Darwin sei Dank.

Im Jahre 1986 ist ein Schulbuch unter dem Titel: „Entstehung und Geschichte der Lebewesen. Daten und Deutungen für den schulischen Bereich“ erschienen, das von Siegfried Scherer und Reinhard Junker unter Mitarbeit von 7 Koautoren herausgegeben wurde. Es war der erste Versuch im deutschen Sprachraum, den in der Schule gebrauchten Argumenten für Evolution eine auf der Schöpfungslehre basierende Gegenposition beizugeben. Dieses Buch lief so gut an, dass bereits 1988 eine erheblich überarbeitete Neuauflage erschienen ist und 1992 durch einen Nachdruck abgelöst wurde. Der Erfolg des ersten Schulbuchs förderte die beruflichen Karrieren der Autoren nachhaltig. Junker wurde bei der Studiengemeinschaft Wort und Wissen e. V. zum „wissenschaftlichen Mitarbeiter“ angestellt. Scherer ist seit 1991 an der technischen Universität München im Bereich Landwirtschaft/Lebensmittel-Mikrobiologie als Professor tätig; dort hat man ihn kurz vor Erlangung der betreffenden Altersgrenze hausintern auf einen Lehrstuhl befördert.

Die 4. Auflage des Klassikers des deutschen Kreationismus wurde 1998 unter dem Titel „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ im Weyel Lehrmittelverlag publiziert. Es hat unzählige naturwissenschaftliche Laien in die Irre geführt, weil einerseits biologische Fakten (Artbildungsprozesse), andererseits Glaubensinhalte (von Gott erschaffene „Grundtypen“) zu einer Art „Theo-Biologie“ verwoben sind, die ein Nicht-Spezialist kaum noch entwirren kann. Der inzwischen mit dem Intelligent Design sympathisierende „Wort und Wissen“ konnte durch die Zusammenarbeit mit dem Berliner Filmemacher F. Poppenberg und der Unterstützung des Zeugen Jehovas Dr. W.-E. Lönning propagandistisch enorm an Boden gewinnen. Filme wie „Hat die Bibel doch Recht? Der Evolutionstheorie fehlen die Beweise“ (1999), begleitet von entsprechenden Internetpräsentationen, gaben dem deutschen Kreationismus einen derartigen Auftrieb, dass 2001 die 5. Auflage des Buches erscheinen konnte, (Kutschera 2007; 2013 erschien die 7. Auflage; Junker & Scherer 2013). Die 5. Auflage wurde 2002 unter lobenden Worten des Ministerpräsidenten von Thüringen mit einem sogenannten „Deutschen Schulbuchpreis“ ausgezeichnet. Dieser wird jährlich von einer privaten christlich-konservativen Vereinigung vergeben. Nach Intervention des damaligen Präsidenten des Verbands Deutscher Biologen konnte verhindert werden, dass das biblisch motivierte „Grundtypen-Lehrwerk“ in die offizielle Schulbuchlisten unserer Bundesländer aufgenommen wurde.

Auch im Islam hat der Intelligent Design Fuß gefasst. Ihr Hauptvertreter ist unter anderem Harun Yahya, der viele Schriften gegen die Evolutionslehre verbreitet. Dieser zeichnet sich nicht nur durch besonders schräge Videos, bei denen er sich mit übermäßig geschminkten Damen ablichtet, aus, sondern durch eine absurde Unkenntnis der Biologie, wie Richard Dawkins in einem Vortrag zeigt:

Kreationismus und die politische Rechte

Dass die Anhänger der verschiedenen Schöpfungslehren hauptsächlich christliche oder andere Fundamentalisten und wichtige Vertreter der politischen Rechte sind, ist kein Geheimnis.

Und genau das macht sie nicht nur zu Gegnern der Evolutionstheorie, sondern auch zu Gegnern jeglichen Fortschritts und Gegnern progressiver Gedanken. Die Dämonisierung der Evolutionslehre beschränkt sich bei ihnen nicht nur darauf, diese als Pseudowissenschaft darzustellen. Das Hauptanliegen der Fundamentalisten ist viel mehr, den Darwinismus auch politisch zu verdammen. So sei der Darwinismus schuld an Rassismus und Sozialdarwinismus. Glaubt man der Interpretation der Kreationisten, so ist in ihren Augen der Darwinismus ein blutiger Kampf um das Recht des Stärkeren, in dem die Schwächlinge ausgemerzt, sprich ausselektiert, werden. Dementsprechend liegen die Wurzeln des Sozialdarwinismus und Rassismus in der Evolutionstheorie Darwins. Weil es eben diesen Darwinismus und diese Gottlosigkeit gibt, gibt es auch all dieses Übel, das in der Menschheit passiert. Fälscher kann man die Evolutionslehre nicht beschreiben. Natürliche Selektion, die Triebkraft der Artbildung, ist ein wertneutraler Begriff. Es wird nicht von vornherein festgelegt, welche Eigenschaft gut und welche schlecht ist. Dies hängt ganz von den natürlichen Bedingungen ab. Was also heute das Überleben sichern kann, kann – z. B. wenn sich die Umweltbedingungen ändern – den sicheren Tod bedeuten. Da nicht von vornherein festgelegt wird, welche Eigenschaften sich als vorteilhaft erweisen, ist überhaupt das Leben in dieser Vielfältigkeit, die wir haben, möglich. Anders verhält es sich mit der Selektion der Sozialdarwinisten. Dort ist von vorn herein festgelegt, dass es die eine gute Rasse gibt (meist weiße Männer aus der Oberschicht), die das Überlebensrecht hat. Alle anderen hingegen gehören ausselektiert.

Diese verlogene Fehlinterpretation der Evolutionstheorie durch die Anhänger des Kreationismus dient einem bestimmten Zweck. Zum einen soll der wirkliche Charakter des Rassismus, von Krieg und Ungerechtigkeit verschleiert werden. Die Ursache liegt eben nicht in der Evolutionsbiologie, sondern im ökonomischen System, in der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft. Aber es gibt auch noch einen weiteren Grund, der der Methode des Diebes, der „Haltet den Dieb“ ähnelt. Schaut man nämlich genauer hin, so erkennt man, dass nicht Rassismus und Evolutionsbiologie, wohl aber Rassismus und Kreationismus zueinander passen wie die Faust aufs Auge. So behaupten Kreationisten, dass sich Hitler in „Mein Kampf“ auf Darwin beruft und sich seine Ideologie auf die Evolutionslehre stützt. Wer „Mein Kampf“ gelesen hat, wird schnell merken, dass Hitler sich kein einziges Mal auf Darwin oder die Evolution bezog, er bezog sich mehrmals auf Gott und die Schöpfungslehre. Denn für Hitler waren die Arier eine spezielle Schöpfung, nämlich jene, die dem Ebenbild Gottes am ähnlichsten waren. Die Reinhaltung der „arischen Rasse“ wird bei Hitler nicht durch genetische oder evolutionsbiologische Analogien begründet, sondern durch die Berufung auf die heilige Mission Gottes (Flank 1999).

Auch der rassistische Ku Klux Klan rechtfertigt seine Ideologie mit der Bibel und der Berufung auf Gott und nicht mit Darwin (Flank 1999).

Ein gewisser Johannes Lerle, damals christlicher Oppositioneller in der DDR, Abtreibungsgegner, Holocaustleugner und Evolutionsgegner veröffentlichte auf der gesperrten Seite kreuz.net einen Artikel mit dem Titel „Beweise interessieren ohnehin keinen“. Weil die Seite gesperrt ist, kann der Artikel nicht mehr aufgerufen werden. 2008 verfasste ich einen Artikel über diese Person, die man hier einsehen kann. Die entsprechenden Zitate dieses Kreationisten und Holocaustleugners sollen hier nochmal unkommentiert wiedergegeben werden:

„Die Evolutionsgläubigen hingegen lügen und betrügen wie die Prediger der Holocaustreligion.“

„Im 19. Jahrhundert waren die Fälschungen Haeckels allgemein bekannt. Doch das hinderte noch in jüngster Zeit verschiedene Schulbuchschmierfinken nicht daran, die Lüge von den menschlichen Embryonen mit Kiemenbögen und ähnlichem zu verbreiten. Das ist ähnlich wie mit dem Holocaust. Dort hatte man den Auschwitztouristen eine Fälschung als angebliche Originalgaskammer gezeigt. Das Buch ‚Der Auschwitz-Mythos’ des pensionierten Richters Wilhelm Stäglich wurde verboten. Stäglich hatte gezeigt, daß die dortige Gaskammer nur funktioniert haben konnte, wenn zwischen 1941 und 1944 die Naturgesetze außer Kraft waren. Weil Stäglich ‚allgemein anerkannte offenkundige Tatsachen’ geleugnet hatte, wurde ihm sein Doktortitel aberkannt. Aber die Trottel, die auf die primitive Fälschung der Gaskammer in Auschwitz hineingefallen waren, dürfen ihre Doktortitel behalten. Wenn sogar ein Doktortitel aberkannt wurde, wieviel einfacher ist es dann, geistig selbständigen Denkern diesen gar nicht erst zu verleihen.“

„Evolutionsglaube und Holocaustreligion haben eines gemeinsam: Am Anfang stand eine bloße Behauptung. Diese wurde nicht bewiesen, sondern lediglich ständig wiederholt. Wenn Beweise vorlagen wie zum Beispiel Kiemenbögen beim menschlichen Embryo, Seife aus Menschenknochen, Lampenschirme aus Menschenhaut, Originalgaskammern in Dachau und Auschwitz und Schrumpfköpfe – an denen aufmerksame Betrachter die Marken des Völkerkundemuseums Leipzig entdeckten – so waren sie gefälscht.“

Dr. Lerle ist kein Einzelfall. Ein weiteres Beispiel ist der Hauptideologe des islamischen Kreationismus, Harun Yahya. Bevor er anfing gegen die Evolutionslehre zu kämpfen, veröffentlichte er im Jahr 1996 das Buch „Soykırım Yalanı (“The Holocaust Lie”) (Hopkins 2003).

Heute, nachdem sein Schandwerk in die öffentliche Kritik geraten ist, hat er seine Sichtweise „geändert” und gibt heute dem Darwinismus die Schuld für den Holocaust.

Diese Beispiele geben Auskunft darüber, dass Kreationismus eine Spielart politisch reaktionärer Ideologien ist, die einen heiligen Krieg gegen die Wissenschaften führen. Kreationismus und sein „modernen“ Ableger Intelligent Design, sind der Aufklärung, dem Fortschritt und der Wissenschaft feindlich eingestellt.

Literatur

Behe, M. (1996): Darwin’s Blackbox. New York: Free Press

Behe, M. (2019): Darwin Devolves: The New Science About DNA That Challenges Evolution. Harper One

Davis, Percival; Kenyon, Dean H.; Thaxton, Charles B. (Hrsg.) (2004): Of Pandas and People. The Central Question of Biological Origins, Haughton Publishing Company, Dallas, Texas

Der Tagesspiegel (29.06.2007): Kultusministerin für Schöpfungslehre im Unterricht https://www.tagesspiegel.de/politik/hessen-kultusministerin-fuer-schoepfungslehre-im-unterricht/973208.html

Flank, L. (1999): Creationists, Hitler and Evolution http://www.talkreason.org/PrinterFriendly.cfm?article=/articles/Hitler.cfm

Friedman, R. (1987): Who wrote the Bible? New York: Harper & Row

Gish, D. T. (1973): Evolution: The Fossils Say No! San Diego: Creatio-Life

Heidel, A. (1942): The Babylonian Genesis. Chicago: University of Chicago Press

Heidel, A. (1946): The Gilgamesh Epic and the Old Testament Parallels. Chicago: University of Chicago Press

Hopkins, M. (2003): Harun Yahya and Holocaust Revisionism http://www.talkorigins.org/faqs/organizations/harunyahya.html

Junker, R. & Scherer, S. (2013, Hrsg.): Evolution: Ein kritisches Lehrbuch. Weyel; Auflage: 7. aktualis. Aufl.

Kutschera, U. (2007, Hrsg.): Kreationismus in Deutschland – Fakten und Analysen. LIT Verlag

Lang, G.I. and Rice, A.M. (2019), Evolution unscathed: Darwin Devolves argues on weak reasoning that unguided evolution is a destructive force, incapable of innovation. Evolution, 73: 862-868.

Numbers, R. (1992): The Creationists: The Evolution of Scientific Creationism. New York: Knopf

Pelikan, J. (2005): Whose Bible is it? A Histpry of the Scriptures Through the Ages. New York: Viking

Prothero, D. (2017): Evolution – What the Fossils say and why it matters. Second edition. New York: Columbia University Press

Schönborn, C. (2005): Keine Evolution durch blinden Zufall! https://www.stjosef.at/dokumente/evolution_schoepfung_schoenborn.htm

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