Darwin und die Fossilien aus dem All
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Die ältesten Fossilien, die die Existenz von frühem Leben auf der Erde bezeugen, sind etwa 3,4-3,8 Mrd. Jahre alt (Schidlowski et al. 1979, Mojzsis et al. 1996, Nutman et al. 2016). Als Charles Darwin mit seiner Theorie der natürlichen Selektion die Bildung neuer Arten erklärte, waren ihm diese frühen Spuren des Lebens nicht bekannt. Während man in Gesteinsschichten des Kambriums, also im Zeitraum von 541 bis vor 485,4 Mio. Jahren, komplexe Organismen mit Schalen, wie Muscheln und Trilobiten, findet, waren zu Darwins Zeiten aus älteren Gesteinsschichten keine Fossilien bekannt. Dementsprechend stellten sich einige Naturforscher, unwissend über die Fossilbelege aus den älteren Gesteinsschichten, die Frage, wie sich Arten anscheinend aus dem Nichts entwickeln konnten.
Otto Hahn, eigentlich Rechtsanwalt, jedoch mit einem Interesse für Naturkunde und Amateurgeologe, hatte Ende der 1870er Jahre eine Lösung: Das Leben auf der Erde stammt aus dem Weltall.
Erst wenige Jahre vorher hatte der kanadische Staatsgeologe John William Dawson (1820–1899) aus einem präkambrischen Kalkstein, der entlang des Ottawa River gefunden wurde, das Eozöon canadensis (das kanadische Tier der Morgenröte des Lebens Abb. 1) beschrieben. Deutlich grünlich-weiß geschichtete Lagen und Knollen im Kalkstein erinnerten Dawson an die Schalen von Foraminiferen, einzellige Organismen, die aus Kalzit oder Quarz einen ihren weichen Körper umhüllende Schalen bilden können. Bald darauf glaubte der Geologe Carl Wilhelm von Gümbel (1823–1898), Begründer der systematischen geologischen Landesaufnahme in Bayern, mit Eozöon bavaricum (das bayerische Tier der Morgenröte, Abb. 1) die älteste Lebensform der Erde entdeckt zu haben. Gümbel rekonstruierte Eozöon als eine Art beschalte Riesenamöbe. Hahn war von dieser Entdeckung dermaßen begeistert, dass er sich auf die Suche nach ähnlichen Fossilien in vergleichbar alten Gesteinen machte. Bald schon wurde er fündig, und nicht nur in Sedimentgesteinen. Hahn beschreibt organische Strukturen aus metamorph überprägten Gesteinen und sogar magmatischen Gesteinen, die direkt aus einer abgekühlten Schmelze entstehen (Bressan 2023).
Abb. 1: oben: Eozöon canadensis; unten: Eozöon bavaricum
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Er veröffentlichte seine Entdeckung 1879 im Buchform als „Die Urzelle“ und schickte ein Exemplar auch an Darwin. Hahn erklärte, dass alle Gesteine tatsächlich aus den fossilen Resten von Lebewesen entstehen. Diese Lebewesen entwickeln sich zunächst im All, in Gaswolken finden sie den nötigen Lebensraum, und ballen sich dann zusammen um eine erste feste Materie zu bilden. Die Materie verschmilzt und bildet Planeten. Die außerirdischen Mikroorganismen passen sich den neuen Bedingungen auf der Planetenoberfläche rasch an und entwickeln sich zu größeren Lebensformen. Darwin hatte magmatische Gesteine auf den Kapverdischen Inseln und Galápagos untersucht und teilte vermutlich nicht Hahns biologische Entstehung der Mineralkörner. Darwin erklärte die angebliche Lücke bei den Fossilien zwischen dem Präkambrium und Kambrium als ein Ergebnis unvollständiger Erhaltung, vor allem von primitiven Organismen ohne Hartteile, und späterer Erosion. Es scheint nicht, dass er einen außerirdischen Ursprung der Arten als unbedingt notwendig ansah. Schließlich führte die Entdeckung von Eozöon-ähnlichen Strukturen in einer Vulkanbombe des Vesuvs im Jahr 1894 zu der Erkenntnis, dass es sich bei Eozöon nicht um Lebewesen handelt, sondern um eine geregelte Verwachsung von grünen Olivin/Serpentin-Kristallen und Kalzit, die dadurch entstehen, dass der ursprüngliche Kalkstein durch die Lava auf etliche hundert Grad aufgeheizt wird. Dieses kontaktmetamorphe Gestein ist heute als Ophicalcit bekannt. Hahn irrte sich (Bressan 2023).
Panspermie
Historisches
Die Vorstellung aber, dass das Leben im Weltall und nicht auf der Erde entstanden ist, ist schon sehr alt und wird auch heute noch von einigen vertreten. Man spricht hierbei von der Panspermie. Die Verfechter der Panspermie haben einen vielfältigen Hintergrund, der von seriösen Wissenschaftlern, die die Panspermie zwar als sehr spekulativ aber durchaus wissenschaftlich behandelbar betrachten, über interessierte Laien bis zu mehr pseudowissenschaftlich arbeitenden oder auch religiös beeinflussten Vertretern reicht.
Von den meisten Wissenschaftlern wird die Panspermie jedoch bisher als reine Spekulation betrachtet, da bislang nur auf der Erde Leben nachgewiesen werden konnte.
Vorläufer der Theorie der Panspermie können bereits in den Vorstellungen des griechischen Philosophen Anaxagoras gesehen werden, der von „Samen des Lebens“ sprach (Abb. 2). Diese Überlegungen gerieten aber durch Aristoteles’ Theorie der spontanen Entstehung des Lebens wieder in Vergessenheit. Für die darauf aufbauende mittelalterliche Gedankenwelt in Europa stellte sich die Frage nicht, zumal die christliche Schöpfungslehre ihr widersprach. Erst im 19. Jahrhundert stellte sich durch Charles Darwins Begründung der biologischen Evolutionstheorie (1859) und Louis Pasteurs Experimente zur Frage der Urzeugung im Jahre 1884 für viele Wissenschaftler erstmals deutlich das Problem der Herkunft der ersten Lebewesen auf der Erde.
Der Panspermie-Hypothese vergleichbare Gedanken wurden u. a. von Jöns Jakob Berzelius (1834), Louis Pasteur (1862), Hermann Richter (1865), Lord Kelvin (1871) und Hermann von Helmholtz (1871) vertreten. Oft, aber nicht immer, wurde sie mit dem Postulat der Ewigkeit des Lebens verbunden.
Anfang des 20. Jahrhunderts formulierte Svante Arrhenius (1908) mit der Radio-Panspermie die erste theoretische Beschreibung der Panspermie (Abb. 2). Nach dieser Theorie können Sporen aus den äußeren Schichten der Erdatmosphäre entweichen und durch den Druck des Sonnenlichts in den interstellaren Raum transportiert werden.
Abb. 2: einige prominente Vertreter der Panspermie
Moderne Panspermie-Hypothesen
Erneut aufgegriffen wurden die Panspermie-Hypothesen in den 1970ern von Francis Crick und Leslie Orgel, welche eine gerichtete Panspermie formulierten (Crick & Orgel 1973). Nach dieser sind die Sporen des Lebens absichtlich von einer außerirdischen Zivilisation losgeschickt worden. Das Versenden von kleinen Körnern mit Bakterien ist nach Crick der kostengünstigste und effektivste Weg, um Leben auf einen potentiell lebensfähigen Planeten zu transportieren. Als Grund wird zum Beispiel angesehen, dass die Zivilisation einer unausweichlichen Katastrophe entgegensah, oder auf ein Terraforming anderer Planeten für eine spätere Kolonisation hoffte. Diese Vorstellung der gerichteten Panspermie kränkelt jedoch an ihrer nicht vorhandenen Evidenz. Aber selbst wenn sich diese als wahr oder sinnvoll herausstellt, verschiebt sie die Frage nach der Entstehung das Leben von der Erde auf eine entfernte außerirdische Zivilisation. Denn dann müsste die Frage gestellt werden, wie dieses außerirdische Leben entstanden ist.
In den späten 1990er Jahren und zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden einige Überlegungen angestellt, die den Transport nur zwischen benachbarten Planeten untersuchen. Dieser Vorgang wird Transspermie genannt. Auch diese Form der Panspermie gilt als spekulativ, wird jedoch als Möglichkeit wesentlich stärker in Betracht gezogen als die oben angesprochene gerichtete Panspermie. Gelangen Lebensformen aus dem Weltraum auf die Erde, müssen diese den Weg durch die Erdatmosphäre auf die Planetenoberfläche überleben, der mit Belastungen durch starke Verzögerungskräfte und große Hitzeentwicklung verbunden ist. Meteoroiden, welche die irdische Atmosphäre durchdringen und die Erdoberfläche erreichen, werden nur an der Oberfläche erhitzt und geschmolzen. Bereits ab einem Zentimeter Tiefe wird das Material kaum erhitzt, so dass ein Überleben von Mikroorganismen möglich scheint (Horneck et al. 2002). Meteoroiden werden in der Atmosphäre unterhalb einer bestimmten Größe auf Freifallgeschwindigkeit abgebremst, sodass die Einschlagenergie nicht ausreicht, um ein Überleben auszuschließen. Die Menge an Marsmaterie, die in den vergangenen vier Milliarden Jahren auf dem Weg zur Erde nicht über 100 °C erhitzt wurde, beträgt etwa vier Milliarden Tonnen.
Auch den umgekehrten Weg von der Erde zum Mars nahm eine zwar kleinere, aber doch erhebliche Materialmenge. Sollte auf dem Mars Leben gefunden werden, könnte es demnach möglich sein, dass eine enge Verwandtschaft mit irdischem Leben besteht. Die Frage wäre dann allerdings, wo das Leben entstanden ist, auf der Erde oder auf dem Mars.
Tatsächlich gibt es sogar Hinweise, wie Bakterien im Weltraum überleben können (vgl. Horneck et al. 2001, 2010, Nicholson et al. 2005, Clark 2001, Mileikowsky et al. 2000a, b, Weber & Greenberg 1985, Abb. 3):
Mit der US-amerikanischen Mondmission Surveyor 3 wurden versehentlich Bakterien der Art Streptococcus mitus auf den Mond gebracht. Nach ihrem Rücktransport zur Erde 31 Monate später war ein Großteil der Sporen in der Lage, den normalen Lebenszyklus fortzusetzen.
Die BIOPAN-Experimente des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Köln-Porz untersuchen die Widerstandsfähigkeit unter definierten Bedingungen. Auf russischen Foton-Satelliten wurden Behälter mit der Bakterienart Bacillus subtilis in eine Erdumlaufbahn gebracht und dort für zwei Wochen geöffnet. Nach der Rückkehr zur Erde hatten mehrere Promille der Ausgangspopulation die Zeit im Orbit ohne jedwede Abdeckung oder Schutzfolie überlebt. Weitere Experimente ergaben, dass lebende Organismen, die von der UV-Strahlung zum Beispiel durch eine Staubschicht abgedeckt sind, einige Jahre im Weltall überleben können. Sie könnten eventuell aber auch mehrere Millionen Jahre überdauern, sofern sie in einem mehrere Meter großen Gesteinskörper von der kosmischen Strahlung abgeschirmt sind.
Es gibt eine besondere Gruppe von Organismen, die in der Lage sind, auch an sehr lebensfeindlichen Orten zu überleben: Dabei handelt es sich um Cyanobakterien der Gattung Chroococcidiopsis und insbesondere um das extremophile Bakterium Deinococcus radiodurans, das nur wenig empfindlich gegenüber ionisierender Strahlung ist; es wurde in Anlagen gefunden, die Lebensmittel durch Bestrahlung haltbar machen sollen.
Das Bakterium Desulforudis audaxviator lebt allein im Grundwasser einige Kilometer tief im Gestein und kann seine Energie einzig aus Wasserstoffperoxid und Wasserstoff beziehen, die in dieser Tiefe nur durch natürliche Radioaktivität im Gestein gebildet werden. Unter diesen Bedingungen würde eine Zellteilung eine Zeit in der Größenordnung von 100 bis 1000 Jahren beanspruchen.
Manche mehrzelligen Organismen, beispielsweise Bärtierchen, sind zur Kryptobiose fähig. Das erlaubt einigen von ihnen, Weltraumbedingungen zu überstehen (Jönsson et al. 2008).
Abb. 3: Lebewesen, die im Weltraum überleben können
Auch der britische Astronom Fred Hoyle (Abb. 2) war ein großer Verfechter der Panspermie-Hypothese (Hoyle & Wickramasinghe 1979, 1980, 1999a,b, Hoyle et al. 1981, 1982, 1986). Er verband sie mit seiner Steady-State-Theorie des Universums, die von einem unendlichen Alter des Kosmos ausgeht und damit die Frage nach dem Ursprung des Lebens umgeht. Spätestens als ein breiter wissenschaftlicher Konsens das konkurrierende Urknall-Modell zur vorherrschenden kosmologischen Theorie von der Dynamik des Universums erhob, verloren seine Vorstellungen jedoch an Attraktivität.
Hoyles Hypothese der starken Panspermie geht jedoch davon aus, dass nicht nur einfachstes Leben aus dem Weltall auf die Erde gelangte, woraus sich dann gemäß der Evolutionstheorie die biologische Vielfalt und speziell die genetische Struktur der modernen Organismen neu entwickelten, sondern, dass diese Vielfalt schon in „genetischen Programmen“ der aus dem Weltall kommenden Lebenskeime angelegt war. Im Besonderen lehnt die starke Panspermie die sog. Makroevolution ab, also der Evolution oberhalb der Artbildung. Traurige Berühmtheit erlangte Hoyle u. a. darin, dass er vorgab, dass der Urvogel Archaeopteryx eine Fälschung sei. Die Ablehnung der Evolutionsbiologie und ihr quasi religiöses Auftreten wird von vielen, jedoch nicht allen, Vertretern der Panspermie geteilt.
In organisierter Form wird die Panspermie gegenwärtig beispielsweise von der Interstellar Panspermia Society vertreten[1]. Diese Organisation hat es sich offiziell zur Aufgabe gemacht, wissenschaftliche Forschung speziell zur gerichteten Panspermie zu fördern und deren Durchführung zu ermöglichen. Gleichzeitig verbreitet diese Organisation einen als „Astrobioethic“ bezeichneten Ethikkatalog. Letzteres wird oft so gedeutet, dass es sich doch um mehr als nur eine Vereinigung handele, die außergewöhnliche Projekte fördern will, sondern auch um eine weltanschauliche Vereinigung – Panspermia-Gegner üben wegen der religiösen Züge heftige Kritik an dieser Organisation.
Obwohl mit Lord Kelvin einer der ersten Vertreter der Panspermie einen antidarwinistischen Standpunkt vertrat, der auch religiöse Beweggründe hatte, wird die Panspermie von Kreationisten gegenwärtig im Allgemeinen als weiteres naturalistisches Weltbild neben der Evolutionstheorie abgelehnt. Panspermie-Vertreter betrachten die Panspermie gewöhnlich als dritten Weg zwischen Evolutionstheorie und Kreationismus. Trotzdem gibt es auch Berührungspunkte, etwa die Ablehnung der modernen Evolutionstheorie unter Verwendung scheinwissenschaftlicher Argumente. So verwendet etwa Brig Klyce, ein Vertreter der „Cosmic Ancestry“ genannten Form der Panspermie, den ursprünglich aus dem Kreationismus stammenden Begriff der „irreduziblen Komplexität“, um gegen die Evolutionstheorie zu argumentieren. Auch ist denkbar, dass manche Versionen der Panspermie, wie gerade die „Cosmic-Ancestry“-Version, in abgewandelter Form von Kreationisten adaptiert werden[2].
Pseudo-Panspermie
Eine abgewandelte Version der Panspermie, die man als Pseudopanspermie bezeichnet, ist, dass zwar nicht das Leben, wohl aber organische Moleküle im Weltraum entstanden sind. Dass im Weltraum und auf anderen Planeten organische Verbindungen gebildet werden, ist inzwischen gut belegt (Pering & Ponnamperuma 1971, Studier et al. 1972, Sephton 2002, Llorca 2004, Schmitt-Kopplin et al. 2010). Analysen des 1969 in Viktoria/Australien eingeschlagenen Murchison-Meteoriten ergaben eine erstaunliche Vielfalt organischer Moleküle, die den Aufprall auf der Erde überlebt haben (Meierhenrich et al. 2004, Abb. 4).
Aus kohlenstoffhaltigen Murchison-Chondriten konnten unpolare Moleküle extrahiert werden, die eine Vesikelstruktur bilden. Bei den Komponenten der Vesikel handelt es sich um Monocarbonsäuren, zu denen auch die Fettsäuren gehören (Deamer 1985, 2017).
Natürlich wurden auch Aminosäuren in Meteoriten nachgewiesen (Kvenvolden et al. 1970, Oro et al. 1971, Lawless et al. 1971, Cronin & Moore 1971, Jungclaus et al. 1976, Ehrenfreund et al. 2001, Martins et al. 2007, Koga & Naraoka 2017, Glavin et al. 2020, 1999). Mittlerweile konnten über 70 Aminosäuren in Meteoriten nachgewiesen werden, viele davon, die sich auch in unseren Proteinen befinden (Elsisa et al. 2016).
Ab. 4: Aminosäuren in Meteoriten
2020 wurde angeblich ein Protein, Hemolithin, welches auch Eisen und Lithium enthält, in dem Meteoriten Allende und Acfer-086 nachgewiesen (McGeoch et al. 2020, Abb. 5). Dieser Fund wird jedoch von einigen Forschern angezweifelt, da die Daten unvollständig seien und eine für Meteoriten untypische Zusammensetzung hat (Crane 2020). Ein anderes Polypeptid, Hämoglycin ist aber in Meteoriten tatsächlich nachgewiesen (McGeoch et al. 2015, MacGeoch & McGeoch 2021, 2022, Abb. 6).
Abb. 5: Hemolithin
Abb. 6: Hämoglycin
Selbst organische Basen, die Grundbausteine von RNA und DNA, wurden in kohlenstofhaltigen Meteoriten gefunden. Darunter waren in einigen Fällen Basen, die nicht oder nur sehr selten auf der Erde vorkommen. Wissenschaftlern das NASA ist es gelungen die drei Pyrimidinbasen Cytosin, Uracil und Thymin unter Bedingungen herzustellen, wie sie nur in den Tiefen des Weltraums vorkommen. Unter unvorstellbarer Kälte und hochenergetischer UV-Strahlung entstanden alle drei Basen (Marlaire 2015, Steigerwald 2011, Callahan et al. 2011).
Bei biochemischen Prozessen ist Phosphat die wichtigste anorganische Verbindung. Phosphat bildet das Rückgrat der DNA und RNA und ist Teil der wichtigsten Energieträger der Zelle, dem ATP.
Es gab so gut wie keine Phosphatquelle, die auf der Erdoberfäche einem beginnenden Leben zur Verfügung gestanden hat, mit einer Ausnahme: In Eisenmeteoriten tritt ein charakteristisches Phosphormineral auf, das vor 170 Jahren von dem österreichischen Chemiker Adolf Patera entdeckt wurde. Er benannte es zu Ehren des Naturwissenschaftlers Karl Franz Anton von Schreibers nach dessen Namen. Schreibersit ist wasserlöslich, sodass die chemische Verwitterung der Meteorite Phosphor freisetzt. Heute wird Phosphor unter der Sauerstoffatmosphäre schnell oxidiert und in Kontakt zu Kalzium in einem Mineralgitter fixiert. Auf der jungen Erde waren die Verhältnisse ohne Sauerstoff komplexer. Eine Reaktion von Phosphor mit CO2 konnte den erforderlichen Sauerstoff bereitstellen, sodass Phosphat (PO43−) gebildet wurde. In der Diskussion um die Bedeutung der extraterrestrischen Zufuhr von Bausteinen für das Leben spielt dieser Aspekt eine größere Rolle. Meteorite können einen Beitrag zur Phosphatversorgung geliefert haben (Pasek 2017).
Die Existenz organischer Verbindungen beschränkt sich keineswegs nur auf Meteoriten.
Infrarotspektroskopische Beobachtungen von planetarischen und proto-planetarischen Nebeln, also interstellare Wolken aus Staub und Gas, die durch einen heißen Stern zum Leuchten angeregt werden, haben gezeigt, dass in diesen Objekten komplexe organische Verbindungen über Zeiträume von bis zu tausend Jahren synthetisiert werden. Diese Verbindungen werden in das interstellare Medium ausgestoßen und verteilen sich in der gesamten Galaxis (Kwok 2009).
Die Entwicklung von Hochfrequenz-Radioempfängern und ihre Anwendung in der astronomischen Spektroskopie haben den Nachweis von über 140 Gasphasenmolekülen im interstellaren Medium ermöglicht, von denen die meisten organische Moleküle sind (Ehrenfreund & Charnley 2000, Pendleton & Allamandola 2002, eine vollständige aktuelle Liste findet man unter http://aramis. obspm.fr/mol/list-mol.html).
Diese organischen Verbindungen können durch das Weltall wandern und haben wahrscheinlich den frühen Sonnennebel chemisch angereichert (Abb. 7). Die anschließende Vermischung und Bildung des Sonnensystems hat die die präsolaren Materialien nicht vollständig zerstört und Reste dieser organischen Stoffe sind in Kometen und anderen Himmelskörpern eingebettet. Durch die schweren Bombardierungen in der der Frühzeit des Sonnensystems sind diese organischen Stoffe wahrscheinlich von Kometen und Asteroiden auf die Erde gebracht worden.
Abb. 7: organische Moleküle im interstellaren Raum
Man fand heraus, dass eisige Körner, die aus der äußeren Bereichen einer protoplanetaren Scheibe stammen, wo die Temperatur weniger als 30 Kelvin betrug, einer ultravioletten Bestrahlung und thermischen Erwärmung ausgesetzt waren, die derjenigen ähnelt, die in Laborexperimenten zur Bildung komplexer organischer Stoffe geführt hat. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass organische Verbindungen natürliche Nebenprodukte der Entwicklung protoplanetarer Scheiben sind und bei der Entstehung aller Planetensysteme, einschließlich unseres eigenen, eine wichtige Rolle spielen dürften (Ciesla & Sandford 2012).
Eine der interessantesten Verbindungen in interstellaren Raum ist Formamid, welcher als Kohlenstoffquelle für mehrere Moleküle wie Nukleoside, Zucker und Aminosäuren (Saladino et al., 2015, 2018, López-Sepulcre et al. 2019) dient. Das auf die Erde gelangte Ethanolamin könnte zum Aufbau und zur frühen Entwicklung der ersten Membranen beigetragen haben (Rivilla et al. 2021).
Acetonitril (Belloche et al., 2008) und Glycolonitril (Zeng et al., 2019) aus dem interstellaren Medium könnten die Ausgangsstoffe für die Aminosäuresynthese gewesen sein, während interstellares Z-Cyanomethanimin (Rivilla et al., 2019), NH2OH (Rivilla et al. 2020) und Harnstoff (Jiménez-Serra et al. 2020) zu den Ausgangsstoffen für die Synthese von Ribonukleotiden gehört haben könnten.
Eine Reihe von Daten aus den Murchinson-Meteoriten, zeigen ebenfalls einen Überschuss eines Enantiomeren. Es wurde bei Aminosäuren ein konsistenter L-Überschuss gemessen (Cooper et al. 2001, Glavin & Dworkin 2009, Glavin et al. 2010, Pizzarello & Shock 2017, Pizzarello & Groy 2011, Cronin & Pizzarello 1997, Koga & Naraoka 2017, Pizzarello, & Yarnes 2018a,b, Burton & Berger 2018, Elsila et al. 2016, Glavin et al. 2010), ähnlich wie auf der Erde. Darüber hinaus zeigen Daten in solchen Meteoriten einen Überschuss von D-Kohlenhydraten. Dies wird auch durch die Tatsache bestätigt, dass Untersuchungen zufolge in verschiedenen Arten von kohlenstoffhaltigen Chondriten, die im 20. Jahrhundert auf die Erde gefallen sind, enantiomere Überschüsse von Aminosäuren von bis zu 18,5 % festgestellt wurden, die alle das L-Enantiomer begünstigen. Die Anzahl der untersuchten Proben ist nicht sehr groß, aber da die Proben von verschiedenen Mutterkörpern stammen und alle einen Überschuss zugunsten desselben Enantiomers aufweisen, ist es verlockend zu schließen, dass diese Überschüsse einen deterministischen Ursprung haben (Vandenbussche et al. 2011).
Die Beobachtung, dass organische Moleküle in Meteoriten einen enantiomeren Überschuss von einigen Prozent aufweisen können, deutet darauf hin, dass das präbiotische Gemisch möglicherweise eine teilweise chirale Verzerrung aufwies, die durch externe physikalische Einflüsse verursacht wurde. Asymmetrische Photolyse scheint die eine Ursache dafür zu sein.
Insgesamt bestätigt sich, dass die Bildung organisch chemischer Moleküle nicht auf die Erde begrenzt ist, sondern weit verbreitet im Weltall möglich ist. Es scheint nicht das Problem zu sein, die Entstehung von Aminosäuren, Lipiden und organischen Basen generell zu erklären. Das Problem ist, sie an einem Ort so zusammenzuführen, dass sie über einen sehr langen Zeitraum in hoher Konzentration miteinander wechselwirken können und dass es einen Motor gibt, der diese Wechselwirkungen anschiebt. Erst unter solchen Voraussetzungen besteht die Möglichkeit, eine so komplexe Maschinerie wie die der biologischen Zelle zu entwickeln.
Epilog
Gibt es Leben auch auf anderen Planeten? Meiner Überzeugung nach ja.
Bei Untersuchungen an Meteoriten, zum Beispiel ALH 84001, wurden Spuren gefunden, die Versteinerungen von außerirdischen Mikroorganismen sein könnten (Gilmour & Shepton 2004: S. 114 ff., McKay et al. 1996). Dies ist umstritten, weil die gefundenen Spuren auch nichtbiologisch erklärbar sind ( Reitner 2004).
Nachdem 1999 das NASA Johnson Space Center im Nakhla Meteoriten biomorphe Spuren gefunden hatte, wurde ein Fragment des Meteoriten 2006 für weitere Untersuchungen aufgebrochen um eine mögliche Kontamination mit irdischen Organismen bei weiteren Untersuchungen ausschließen zu können. Darin wurden diverse komplexe kohlenstoffhaltige Materialien gefunden, welche dendritartige Poren und Kanäle im Felsen enthielten, ähnlich den Effekten von Bakterien in Steinen, die man von der Erde kennt.[3] Nach mehrheitlicher Auffassung der Wissenschaftler reiche die Ähnlichkeit der Formen mit denen lebender Organismen nicht aus, um zu beweisen, dass einst Bakterien auf dem Mars lebten.[4]
Anfang März 2011 veröffentlichte der NASA-Astrobiologe Richard Hoover Forschungsergebnisse, wonach in den Meteoriten Alais, Ivuna und Orgueil, drei kohlige Chodriten, fossile Reste extraterrestrischer Organismen gefunden worden seien. Der Fund ist Gegenstand kontroverser Diskussionen.[5],[6] Am 7. März 2011 distanzierte sich die NASA von der Veröffentlichung Hoovers im Journal of Cosmology. Andere Astrobiologen gehen von terrestrischer Kontamination aus und bezweifeln die Ergebnisse von Richard Hoover.[7]
Nüchtern betrachtet hat es also den Anschein, dass die entdeckten Bakterien auf den Meteoriten eben doch keine Bakterien sind. Wiederholt sich Otto Hahns Eozöon, den wir zu Beginn kennengelernt haben? Ich weiß es nicht, habe aber die Hoffnung, dass weitere Untersuchungen mehr Klarheit verschaffen werden. Aber wenn handelt es sich nur um Mikroorganismen – was erstaunlich genug wäre.
Haben uns Aliens schon besucht? Nun, wenn ja mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit nicht wie es uns Erich von Däniken oder der History Channel weismachen wollen. Und wenn doch, so wünsche ich mir, beim nächsten Mal mitgenommen zu werden. Tatsache ist, auch wenn organische Moleküle im Weltall nachgewiesen sind und diese einen Beitrag zur Anreicherung organischen Materials auf der Erde geleistet haben könnten: Für die Entstehung des Lebens auf der Erde waren sie vielleicht hilfreich, aber nicht notwendig. Denn wenn organisches Material in Meteoriten, Kometen oder sonst wo im Weltall gefunden wurde, dann ist deren Entstehung als Vorbedingung für Leben auf der Erde mit ihrer vielfältigeren Chemie erst recht möglich. Dies wurde durch verschiedene Versuche, darunter das berühmt gewordene Urey-Miller-Experiment, nachgewiesen. Für die Entstehung des Lebens auf der Erde ist das Weltall also nicht zwingend notwendig.
Doch reisen wir wieder zurück auf die Erde und das in einem Bereich, der noch weniger erforscht ist als die Rückseite des Mondes: die Tiefsee. Denn diese bietet für die Entstehung des Lebens einige sehr plausible Orte.
Literatur
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[7] As a Nasa scientist claims he’s found extra-terrestrial life on meteorites. Auf: dailymail.co.uk. 11. März 2011. https://www.dailymail.co.uk/sciencetech/article-1365161/As-Nasa-scientist-claims-hes-extra-terrestrial-life-meteorites–Is-proof-aliens.html?ito=feeds-newsxml