Michael Crichton, Jurassic Park und die menschliche Gesellschaft

Heutzutage gibt es doch recht wenig hervorragende Literatur. In Zeiten von Schrott-Romanen wie „50 Shades of Grey“, hirnlosen Biographien dilletantischer Schauspieler, Fußballer, Musiker und Ex-Bundespräsidentenfrauen, sowie pseudowissenschaftliche „Sach“bücher von Mulit-Untalenten wie Thilo Sarrazin, fällt es einem doch schwer gute Literatur zu finden. Zu den wenigen Ausnahmen zeitgenössischer Autoren gehören Steven King, George R. R. Martin und Michael Crichton. Letzterer ist leider 2008 verstorben. Doch zwei seiner Bücher lieferten Vorlagen für die wohl spektakulärste Filmreihe: Jurassic Park. Wer die Filme mag (von Jurassic Park 3 abgesehen), wird die Bücher (Jurassic Park & Lost World) lieben. Das Besondere der Bücher ist auch, dass viele Kapitel tiefsinnige wissenschaftliche und philosophische Kapitel haben, die zum Nachdenken anregen. Themen, die in den Filmen oft zu kurz kamen. Ein Kapitel des zweiten Buches befasst sich mit der Evolutionsgeschichte des Menschen, welches hier wiedergegeben werden soll:

„Vor ungefähr drei Millionen Jahren“, sagte Malcolm, „kamen einige afrikanische Affen, die bis dahin in den Bäumen gelebt hatten, auf den Erdboden herunter. Ihre Gehirne waren klein, und sie waren nicht besonders gescheit. Sie hatten weder Klauen noch scharfe Zähne als Waffen. Sie waren auch nicht besonders stark oder schnell. Für einen Leoparden waren sie auf jeden Fall kein ebenbürtiger Gegner. Aber weil sie klein waren, fingen sie an auf den Hinterläufen zu gehen, damit sie über das hohe afrikanische Gras sehen konnten. So fing es an. Mit ein paar gewöhnlichen Affen, die über das Gras schauten.

Im Laufe der Zeit standen die Affen immer länger aufrecht. So hatten sie die Hände frei und konnten mit ihnen Dinge tun. Wie alle Affen waren sie Werkzeugbenutzer (…) Und mit der Zeit entwickelten unsere äffischen Vorfahren immer kompliziertere Werkzeuge. Das stimulierte ihre Gehirne zum Wachstum, sowohl in Größe wie Komplexität. In evolutionären Dimensionen sind unsere Gehirne förmlich explodiert. In ungefähr einer Millionen Jahren hat sich die Größe unseres Gehirns verdoppelt. Und das hat Probleme verursacht. (…) Die Geburt zum Beispiel. Ein großes Gehirn passt nicht durch den Geburtskanal – was bedeutet, dass Mutter und Kind bei der Geburt sterben. Das ist nicht gut. Und wie reagiert die Evolution darauf? Sie lässt die Menschenbabys in einem sehr frühen Entwicklungsstadium auf die Welt kommen, wenn das Gehirn noch so klein ist, dass es durchs Becken passt. Das ist die Beuteltier-Lösung – der Großteil des Wachstums passiert außerhalb des Körpers der Mutter. Das Gehirn eines Menschenkindes verdoppelt sich im ersten Lebensjahr. Das ist eine gute Lösung für die Geburt, aber es schaffte andere Probleme. Es bedeutet, dass Menschenbabys noch lange nach der Geburt hilflos sind. Die Jungen von vielen Säugetieren können schon Minuten nach der Geburt laufen. Andere laufen nach ein paar Tagen oder Wochen. Aber Menschenbabys können ein ganzes Jahr lang nicht laufen. Und selbst ernähren können sie sich noch viel länger nicht. Der Preis für das große Gehirn war also, dass unsere Vorfahren neue, stabile Organisationsformen entwickeln mussten, die eine langfristige, viele Jahre dauernde Kinderfürsorge ermöglichten. Diese großhirnigen, total hilflosen Kinder haben die Gesellschaft verändert. Aber das ist nicht die wichtigste Konsequenz. (…) In unreifem Zustand geboren zu werden bedeutet für die Menschenkinder, dass sie ungeformte Gehirne haben. Sie kommen nicht mit einer Menger eingebautem, instinktivem Verhalten auf die Welt. Instinktiv kann ein Neugeborenes saugen und greifen, aber das ist so ziemlich alles. komplexes menschliches Verhalten ist alles andere als instinktiv. Menschliche Gesellschaften mussten also Erziehungsstrategien, um die Gehirne ihrer Kinder zu trainieren. Um ihnen beizubringen, wie man sich verhält. Jede menschliche Gesellschaft verwendet unglaublich viel Zeit und Energie darauf, ihren Kindern das richtige Verhalten beizubringen. Sieht man sich eine einfachere Gesellschaft an, in einem Regenwald irgendwo auf dieser Erde, stellt man fest, dass jedes Kind in ein Netzwerk von Erwachsenen hineingeboren wird, die für die Erziehung des Kindes verantwortlich sind. Nicht nur die Eltern, auch Tanten und Onkel und Großeltern und Stammesälteste. Einige zeigen dem Kind, wie man jagt oder Nahrung sammelt oder webt, andere klären über Sex oder Krieg auf. Aber die Verantwortlichkeiten sind klar definiert, und wenn ein Kind keine, sagen wir mal, Mutterburderschwester für eine ganz bestimmte Erziehungsaufgabe hat, dann setzt sich der Stamm zusammen und bestimmt einen Ersatz. Weil die Erziehung der Kinder in gewisser Weise der Grund ist, warum die Gesellschaft überhaupt existiert. Sie ist der wichtigste Vorgang, und sie ist die Kulmination all der Werkzeuge und Kommunikationsformen und Sozialstrukturen, die je entwickelt wurden.“

Aus Michael Crichton: Vergessene Welt – Jurassic Park; Kapitel „Probleme der Evolution“, S. 264 – 266

Natürlich klärt dieses Kapitel nicht sämtliche Aspekte der menschlichen Evolution bzw. des Sozialverhaltens. Es ist sicherlich auch verkürzt zu behaupten, die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft auf die Kindererziehung zu reduzieren. Auch hat das Buch an anderen Stellen weitere zu kritisierende Aspekte, wie die starke Fixierung auf die „Chaos-Theorie“ als Universalwissenschaft, die vorgibt (fast) alles, was komplex ist, zu erklären; ein Problem, welches viele „moderne“ Wissenschaftsmodelle haben, die vorgeben (bzw. denen man unterstellt) die gesamte Welt zu erklären und damit oftmals der Gültigkeitsbereich einer Theorie überschritten wird.  Doch diese Textstelle beweist zumindest eines: Der Mensch ist ein gesellschaftliches Wesen und wird von eben dieser Gesellschaft geformt. Menschen als instinktgesteuerte oder durch Gene evolutionär programmierte Wesen zu definieren (wie es oft die evolutionäre Psychologie und Soziobiologie darstellen) ist eine extrem verkürzte Sichtweise auf den Menschen.